Das traditionelle Sep-System


Dias Sep-System ist ein Distributionssystem mit erblichen (durch die Sitte geregelten Leistungspflichten zwischen den Familien der Landbewirtschafter und den Angehörigen der Dienstleistungsberufe.

Die „Zamindare" (Landbewirtschafter) erhalten die für die Landbewirtschaftung und zum Leben notwendigen Dienstleistungen. Die „Kammis" (Angehörige der Dienstleistungsberufe) sind verpflichtet, alle ihrem Beruf zukommenden Arbeiten zu verrichten. Daneben müssen sie den Zamindaren auf Abruf bei Arbeitsspitzen in der Landwirtschaft und bei sonstigen Arbeiten (Häuserbau u. ä.) zur Verfügung stehen. Schließlich haben die Kammis noch bestimmte soziale und zeremonielle Funktionen. So ist z. B. der Barbier gleichzeitig Koch bei Festlichkeiten und arrangiert Heiraten zwischen jungen Leuten geeigneter Familien. Seine Frau versieht das Amt der Brautführerin bei der Hochzeit. Wenn ein Zamindar Gäste (hat, übernehmen 'die Kammis Dienerfunktionen und besorgen das Servieren, das Bereithalten der Waschschüssel und des Handtuchs u. ä. Abends lassen sich viele Zamindare von Kammis massieren.

Die Kammis erhalten für ihre Dienste eine Vergütung. Grundgedanke dieser Vergütung ist die Sicherung der Existenz, nicht eine Entlohnung der Leistung. Die Zamindare entlohnen im Sep-System nicht bestimmte Leistungen, sondern sichern den Kammis durch bestimmte Anteile an der landwirtschaftlichen Produktion den Lebensunterhalt. Diese Sicherheit wird noch dadurch erhöht, daß die Kammis ein Monopol auf die Ausführung von Arbeiten in ihrem Beruf haben. Entsprechend der Sitte darf ein Zamindar alle anfallenden Arbeiten nur von demjenigen Kammi ausführen lassen, mit dem er im Sep-Verhältnis steht. Dadurch ist jede Konkurrenz unterbunden. Sogar Selbsthilfe bei Reparaturen ist ungebräuchlich und wird als Verstoß gegen die Regeln angesehen. Weil alle anderen Personen von den Arbeiten in ihrem Beruf ausgeschlossen sind, sind die Kammis gegen Arbeitslosigkeit geschützt. Diese Sicherheit kann nicht einmal durch Unfähigkeit verlorengehen. Ein schlechter Handwerker muß nicht etwa einem geschickteren weichen, sondern wird ebenso akzeptiert wie ein guter.

Eine Grenze der Sicherheit ist jedoch dadurch gegeben, daß die Sep-Be-ziehungen wie anderes Eigentum betrachtet werden und erblich sind. Bei häufiger Erbteilung entfallen immer weniger Familien auf einen Kammi und seine Existenzgrundlage wird schmaler und schmaler und schließlich unzureichend.

Die Kammis sind in einzelne Kasten nach ihrem Beruf eingeteilt, wobei im islamischen Pakistan unter Kasten endogame, faktisch erbliche Patro-nagegruppen zu verstehen sind. Diese Erblichkeit der Kastenzugehörigkeit und damit des Berufs regelt auch gleichzeitig die Berufsausbildung. Der Sohn arbeitet beim Vater mit und erlernt auf diese Weise seinen Beruf. Die Endogamie bewirkt, daß auch die Frauen mit den notwendigen Fertigkeiten vertraut sind, was besonders bei den zeremoniellen Diensten von Bedeutung ist.

Die Zahl und Art der Kammis ist in den einzelnen Dörfern unterschiedlich. Fast immer sind jedoch Barbier, Schmied, Zimmermann, Weber, Mullah (Priester), Wasserträger, Wächter, Schuster und Wäscher vorhanden. In größeren Orten kommen weitere Berufe hinzu, wie Töpfer, Ölmüller usw. Diese weniger häufig benötigten Dienstleistungsberufe bedienen manchmal mehrere Dörfer. Umgekehrt wohnen in größeren Dörfern mehrere Kammis mit dem gleichen Beruf, die jeweils zu bestimmten Zamindaren Sep-Beziehungen halben.

Die Vergütung der Kammis ist durch die Sitte genau geregelt und wird streng überwacht, so daß die Kammis nicht auf die Großzügigkeit der Zamindare angewiesen sind. Die Kammis erhalten 'drei verschiedene Leistungen:

  1. Die allgemeine Vergütung, die genau festgelegt ist und im wesentlichen
    in einem gewissen Anteil an allen landwirtschaftlichen Erzeugnissen der
    Zamindare bestellt,
  2. gewisse Konzessionen wie freien Wohnplatz, freies Futter, Holz, Dung
    als Brennmaterial, Benutzung der Geräte und Zugtiere der Zamindare
    sowie allgemeine Hilfe in Notfällen und Vertretung nach außen,
  3. Geschenke mehr oder weniger freiwilliger Art, wie sie besonders zu
    Festtagen üblich sind.
    Da die Vergütung als Lebensunterhalt und nicht als Lohn zu verstehen ist, steht sie kaum in Beziehung zur geleisteten Arbeit und wird auch dann gezahlt, wenn überhaupt keine Leistungen erbracht wurden. So erhielt z. B. in einem Untersoichungsdorf2 die Familie des Wasserträgers immer noch „Kah" und „Mohar", obwohl kein Wasser seit der Errichtung von Pumpen mehr aufgetragen wird. Am gleichen Ort lebte vor einiger Zeit ein Hindu-Priester. Er erhielt ebenfalls die üblichen Getreide- und sonstigen Zuwendungen, obwohl er als einziger Hindu am Ort keinerlei berufliche Funktionen auszuüben hatte. Neben dem Versorgungsgedanken dürfte die Ursache für das Fortbestehen der Unterhaltsgewährung in den sozialen und zeremoniellen Diensten zu suchen sein, die auch nach Erlöschen der beruflichen Aufgaben beansprucht werden.

Die von der Sitte geregelte Vergütung überträgt zwar den Kammis einen Anteil am Bodenertrag, aber dieser ist mengenmäßig fixiert, also unabhängig vom tatsächlichen Ernteertrag. Das Ertragsrisiko haben also die Zamindare zu übernehmen. Das Gefühl für die Leistungspflicht ist bei den Zamindaren so stark, daß sie bei Mißernten «her selber ihren Lebensmittelverbrauch einschränken, als daß sie den Kammis ihre traditionellen Getreidemengen vorenthalten.

Die pauschale Vergütung wird im allgemeinen nach der Ernte ausgezahlt, so daß man das Sep-System als Methode zum Tausch von Gütern und Diensten auf Kreditbasis -ansehen kann.

Die Vergütung wird nach verschiedenen Metholden berechnet: je Betrieb, je Pflug, je Familie, je Tier, je Brunnen, je Leistung usw. Sie besteht im wesentlichen aus Weizen, dem Hauptnahrungsmittel und dorfüblichen Zahlungsmittel. Daneben erhalten die Kammis kleinere Mengen an sonstigen Agrarprodukten, die zur Lebensführung notwendig sind, sowie kleine Geldzuwendungen. Beim Zamindar zu leistende Landarbeit wird nicht besonders entlohnt, aber das Essen wird an solchen Tagen gestellt. Ein Beispiel für die Differeniziertheit der festliegenden Vergütung und die Genauigkeit der Regeln mag die Vergütung zweier Kammis geben, die 1962 in einem Untersuchungsdorf festgestellt wurde:


Diese Angäben reichen jedoch zur Beurteilung der Lebensverhältnisse der Kammifamilien noch nicht aus. Viele von ihnen erhöhen ihr Einkommen durch Rindviehhaltung, indem sie die ihnen zustehenden Futterkonzessionen ausnutzen. In einigen Fällen verdienen Familienangehörige durch Gelegenheitsarbeit hinzu.

Die Einkommen der Kammis genau festzustellen, ist außerordentlich schwer, da sie neben den regulären Zuwendungen viele kleine, schwer zu bewertende Vorteile haben, die summiert nicht unwesentlich zur Erhöhung des Lebensstandards beitragen. So wird herkömmlich der Dreschplatz von den Zamindaren nicht sorgfältig gereinigt. Was mit einem groben Behälter nicht aufzuheben ist, überläßt man den Kammis. Diese dürfen weh auch ungefragt Zuckerrohrstengel zum sofortigen Verzehr aus den Feldern brechen. Die Zamindare stellen ihnen Werkzeuge, aber auch Gerätschaft des Haushalts leihweise und unentgeltlich zur Verfügung. Immerhin ergaben die empirischen Untersuchungen, daß das Einkommen der Kammifamilien im Durchschnitt über dem der Landarbeiter liegt und etwa dem der Bewirtschafter der kleinsten landwirtschaftlichen Betriebe entspricht. Das Durchschnittseinkommen der Landbewirtschafter ist allerdings um das Zwei- bis Dreifache höher.

Zur Beurteilung der Lebenssituation der Kammis ist es noch notwendig, die Verteilung der Rechte im Sep-Verhältnis zu untersuchen. In ländlichen Gemeinden ist der Boden das weitaus wichtigste Produktionsmittel. Die Kontrolle über das Produktionsmittel Boden verschafft den Zamindaren wirtschaftliche Macht, politischen Einfluß und bringt Nichtbesitzende in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Grundeigentümern. Damit kontrollieren sie auch Vermögen, Arbeit und Kredit im Dorf. Auch rein zahlenmäßig sind sie im Dorf überlegen. Diese Situation verschiebt die Macht einseitig auf die Seite der Zamindare. Deshalb wird das Sep-System vielfach als feudal angesehen.

Die zunächst unbegrenzt erscheinende Machtstellung der Zamindare ist allerdings institutionell stark eingeschränkt. Die Macht der Kammis besteht in der Sitte der strengen Arbeitsteilung. Die Kammis stellen Leistungen zur Verfügung, die die Zamindare anders nicht erhalten können. Die Sitte verbietet sowohl eine Selbstausfühtung als auch die Übertragung der Arbeit an andere Personen, 'und ein Verstoß gegen diese Regel wird in der Dorfgesellschaft schwer geahndet.

Die Kontrolle über die Einhaltung der Regeln ist für die Zamindare aus Selibsterbaltungsigründen notwendig, weil sie riskieren, daß ein benachteiligter Kammis abwandert. Dia die Kammikasten gewerkschaftsähnlich reagieren, würde es den Zamindaren unmöglich sein, Ersatz zu finden, und sie würden sich daher selbst schädigen. Die Möglichkeit eines Boykotts ist sehr wirksam, denn diese Maßnahme könnte nur durch schlagartiges Übergehen zu marktwirtschaftlichen Arbeitsbeziehungen überwunden werden. Dazu fehlen lokal aber die Partner auf dem Arbeitsmarkt.

Im Gegensatz dazu wird die Position der Kammis durch ihre geringe Ausbildung und ihren geringen Kenntnisstand wiederum geschwächt. Letztlich garantiert die Sitte den Kammis gewisse Leistungen und gibt ihnen
dadurch eine Sicherheit, die extreme Auswirkungen der einseitigen Machtverlagerung verhindert.

In der Praxis reichen die Beziehungen zwischen Kammis und Zamindaren von patriarchalischem Verhältnis bis zu sklavenähnlicher Behandlung. Es sei jedoch bemerkt, daß nach Eindruck des Verfassers patriarchalische Verhältnisse recht häufig zu sein scheinen, während eine schlechte Behandlung der Rammis von der Dorfmeinung verurteilt wird. Wenn sie doch vorkommt, dann, weil die Normenkontrolle ebenfalls nicht neutral ist. Die Sep-Bezie-humgen werden durch spezielle Panchayats (Dorfräte) kontrolliert, in denen die Zamindare zahlenmäßig und ihrem Einfluß nach überwiegen. Die zur Schlichtung von Konflikten außerdem noch vorhandenen Gerichte stehen zwar außerhalb der Kontrolle der Zamindare, aber in der Praxis verfügen diese wegen ihrer besseren Bildung und größeren wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch hier über die günstigeren Positionen.

In neuerer Zeit kommt es häufig zu Umgestaltungen in der Wirtschaft, die das Funktionieren des Sep-Systems infrage stellen. Der Übergang zur Geldwirtschaft schafft einen Bargeldbedarf der Kammis, der im Sep-Verhältnis nicht befriedigt wird. Sie müssen Teile ihres Naturaleinkommens verkaufen. Nur auf dem Dorfe wird noch in Getreide bezahlt. Die Sicherung der Existenz, die das Sep-System ursprünglich bot, ist heute beschränkt, da hierzu immer mehr über den Markt au beziehende Güter gehören. Der Übergang von der auf ein oder einige Dörfer beschränkten Lokalwirtschaft zum Anschluß an die interniationalen Märkte hat an dieser Entwicklung entscheidenden Anteil.

Eine weitere Belastung für das Sep-System ist 'durch das starke Bevölkerungswachstum entstanden. Da Sep-Beiziehungen im Erbgang auf die Kinder aufgeteilt werden, sinkt die wirtschaftliche Grundlage des einzelnen Erben unter Umständen unter das Existenzminimum. Wenn Sep-Beziehungen zu 30 Zamindarfamilien einer Familie eine angemessene Existenz bieten, so kann bei Teilung dieser Beziehungen auf drei Söhne keiner mehr von den Vergütungen von zehn Zamindars leben. Gewisse Puffer sind /allerdings im System eingebaut. Um sich die Dienste der Kammis zu sichern, bezahlen die Zamindare eine etwas höhere Vergütung, wenn ihre Zahl gering ist, wie z. B. in kleinen Dörfern. Aber der Gedanke der Existenzsicherung geht natürlich nicht so weit, daß die Schmälerung der Einkünfte durch Erbteilung völlig ausgeglichen wird. Da die Bevölkerungsvermehrung nicht nur die Kammis, sondern auch die Zamindare betrifft, kommen 'zur verringerten Zahl der ererbten Sep-Beziehungen neue aus neu entstandenen Familien hinzu. Trotzdem kommt es immer wieder zu Disproportionalitäten, die örtlich durch Ab- und Zuwanderung von Kammis ausgeglichen werden. Wenn sie größere regionale Ausmaße annahmen, dann wechselte im Laufe der Geschichte öfter eine ganze Kaste bzw. eine Unterkaste ihren Beruf.

Bevölkerungszuwachs und Erbteilung halben noch andere Einwirkungen auf das Sep-System. Sie bewirken eine ständige Verkleinerung der landwirtschaftlichen Betriebe und damit des Vermögens und Einkommens der Zamindare. Von einer bestimmten Einkommensschwelle an sind diese nicht mehr in der Lage, sich Kammis leisten zu können und müssen zwangsweise mehr und mehr Dienstleistungsarbeiten selbst ausführen. So fand der Verfasser beispielsweise ein Dorf mit 107 Haushaltungen, in dem wegen der sehr kleinen Betriebsflächen (durchschnittliche Eigentumsfläche 3,1 acres, durchschnittlich bewirtschaftete Fläche 8,5 acres) nur drei Kammis zu finden waren, nämlich ein Schmied, ein Schuster und ein Töpfer, wobei der letztere zusätzlich noch andere Dörfer versorgte.

Wenn aber erst einmal damit begonnen wird, die Kastenregeln zu durchbrechen und Dienstleistungsarbeiten selbst auszuführen, dann gerät die Hauptstütze der Position 'der Kammis, nämlich ihr Monopol auf Ausführung bestimmter Arbeiten, ins Wanken. Derartige Änderungen in den Gepflogenheiten machen in Nachbardörfern schnell Schule.

Ein weiterer Faktor, der zur Aufweichung des Sep-Systems führt, ist die technische Entwicklung. Die Auswirkung der Erfindung des mechanischen Webstuhls auf die Situation der Weber in Indien ist weit bekannt. Viele ähnliche Beispiele ließen sich anführen. Pumpen machen Wasserträger arbeitslos, fabrikgefertigte Schuhe lösen mehr und mehr die Produkte der Dorfschuster ab, Motorpumpen ersetzen die „persischen Wasserräder" an den Bewässerungsbrunnen, Der Ausbildungsstand der Kammis ist oft nicht hoch genug, als daß sie die Wartung, Pflege und Reparatur der neuen Maschinen und Geräte übernehmen könnten.

Schließlich basiert das Sep-System idarauf, daß es Sicherheit der Existenz für grundbesitzlose Dorfbewohner bietet, die kaum alternative Lebensmöglichkeiten haben. In neuerer Zeit entstehen immer öfter innerhalb des Erfahrungsbereiches der Kammis Industrie- und Wirtschaftszentren und bieten, wenn auch zahlenmäßig in beschränktem Umfang, Arbeitsplätze und damit berufliche Alternativen für die Kammis. Das Sep-System hat damit seinen Zwangscharakter verloren. Anhand des Bildes in Dörfern, in denen dieser Prozeß bereits abgelaufen ist, läßt sich verfolgen, wie die Lösung der Kammis aus ihren bisherigen Arbeitsbeziehungen erfolgt und welche Probleme dabei auftreten

------

2) Die Untersuchungen wurden 1962/63 in verschiedenen Dörfern Westpakistans vom Verfasser durchgeführt.

 

 

 

 

 

Baby