2. Verschiedene Formen von Kooperation

2.1 Traditionelle informale Kooperation

Alle Gesellschaften kennen informale Kooperation zur Befriedigung von Bedürfnissen, und dies schon seit alten Zeiten. Man hilft sich gegenseitig bei Rodung, Hausbau und bei der Anlage von Brunnen. Die Hausfrauen, aber auch Landwirte, leihen sich Geräte aus. Weit verbreitet ist gegenseitige Hilfe beim Pflanzen, bei der Ernte und beim Dreschen. Manche Dörfer haben Gemeinschaftsgeschirr, das bei Festen allen zur Verfügung steht.

Informale Kooperation ist immer stark bei primären Gruppen wie Familie und Nachbarschaft sowie in Notzeiten und bei Gefahr. Bei Normalisierung der Verhältnisse geht die Hilfsbereitschaft wieder zurück.

Entstanden sind die traditionellen Kooperationsformen besonders, um wiederkehrende Bedürfnisse zu befriedigen, z.B. beim Pflanzen und Dreschen. Im Laufe der Zeit hat die Erfahrung zu Regelungen geführt, bei denen Aufwand und Ertrag der Mitglieder ausgeglichen sind. Dies macht es auch so schwierig, diese alten Traditionen auf neue Aufgaben zu übertragen. Als zusätzlicher Anreiz ist es üblich, eine Anerkennung in Form eines kleinen Geschenks, einer Mahlzeit oder eines kleinen Festes für alle Beteiligten zu gewähren.

2.2 Traditionelle Genossenschaften (Raiffeisen-Typ)

Formale Kooperation ist europäischen Ursprungs. Mitte des 19. Jahrhunderts haben Raiffeisen und andere die ersten Genossenschaften gegründet, und ihr Modell wurde sozusagen der Prototyp für die Genossenschaften der Welt, wenn es auch viele Abweichungen gab. Raiffeisen war langjähriger Dorfbürgermeister und gründete nach längeren Studien über die sozialökonomischen Verhältnisse seines Dorfes eine Spar- und Darlehenskasse, um die Nöte der Kleinbauern zu lindern.

Es ist bemerkenswert, daß Raiffeisen und andere frühe Genossenschaftler, Lehrer, Priester, Ärzte und andere dörfliche Führungskräfte waren, die etwas für die arme Dorfbevölkerung tun wollten. Christliche und utopische Gedanken spielten dabei eine Rolle. Im Gegensatz zur verbreiteten Ideologie entstanden die frühen Genossenschaften also nicht, indem bedürftige Kleinbauern sich zusammenschlossen, um durch gemeinsames Handeln ihre Situation zu verbessern. Im Gegenteil, die Genossenschaften wurden ‘von oben’ gegründet, und oft arbeitete ein Mitglied der lokalen Oberschicht als Gründer, Manager oder Buchhalter.

Später waren Genossenschaftsverbände oder der Staat aktiv bei der Anregung und Gründung von Genossenschaften. Trotzdem war der Fortschritt langsam. Insbesondere das Prinzip der Selbstverwaltung - ein Mitglied arbeitet als Geschäftsführer unter einem gewählten Vorstand - begrenzte die Geschäftsaktivitäten wegen mangelnder Fachkenntnisse. Mit Ausnahme von Sonderfällen wie den Winzergenossenschaften trat der Aufschwung der Genossenschaften in Deutschland erst Mitte dieses Jahrhunderts ein. Allerdings gab es schon früher beachtliche Entwicklungen in anderen Ländern, etwa in Dänemark, Holland und der Schweiz.

Zwei Faktoren waren besonders wirksam für die Entwicklung der deutschen Genossenschaften:

  • Mitte dieses Jahrhunderts wurde die Landwirtschaft in Deutschland voll marktintegriert. Neue Technologie mit zugekauften Betriebsmitteln wurden üblich, wozu Bezug, Absatz und Kredit organisiert werden mußte. Die Genossenschaft als Aktionsgemeinschaft gleichberechtigter Personen zur Erreichung gemeinsamer konkreter Ziele war nicht die einzige, aber doch bevorzugte Organisationsform.
  • Etwa zu gleicher Zeit begannen der Staat und die Industrie, ihren Angestellten Löhne nicht mehr bar auszuzahlen, sondern auf ein Konto zu überweisen. Für die zahlreichen auf dem Dorf lebenden Pendler gab es meist nur eine Bank, nämlich die dörfliche Spar- und Darlehenskasse. Durch diese Änderung kam viel Geld in die Hände der Genossenschaft, die nicht nur ihr Kreditgeschäft ausdehnen, sondern bald auch ausgebildete Fachkräfte einstellen konnte und ihren Namen in ‘Raiffeisenbank’ umwandelte. Das Bezugs- und Absatzgeschäft wurde bald in Gebietsgenossenschaften konzentriert.

Wenn es auch gewisse Abweichungen gegeben hat, so folgten doch die meisten Genossenschaften den ursprünglichen Raiffeisen-Prinzipien für Genossenschaften:

1. Ziel der Genossenschaften ist die Förderung der wirtschaftlichen Aktivitäten der einzelnen Mitglieder, also die Förderung der Mitgliederbetriebe durch gegenseitige Hilfe und gemeinsamen Geschäftsbetrieb. Dieser Dienstleistungsgedanke steht im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsgebilden wie etwa Aktiengesellschaften, die ein Wachstum der eigenen Unternehmung anstreben.

2. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und offen für alle.

3. Die Mitglieder haben gleichen Anteil an der Willens- und Entscheidungsbildung, unabhängig vom Kapitalanteil (ein Mitglied - eine Stimme).

4. Die Aktivitäten der Genossenschaft sind mitgliederbezogen, was in den Grundsätzen Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung (volle Haftung) zum Ausdruck kommt.

5. Es besteht eine Doppelmitgliedschaft der Mitglieder. Sie sind zugleich Teilhaber und Mitentscheider ihrer Genossenschaft, aber auch Kunde und Klient für Dienstleistungen.

Es erwies sich, daß Genossenschaft am einfachsten unter Gleichen ist. Immer, wenn die Betriebsgrössenstruktur große Unterschiede aufweist, gibt es Interessenunterschiede, und die Genossenschaft wird leicht zum Instrument der wohlhabenden Landwirte.


2.3 Neue Genossenschaftsformen (nicht Raiffeisen-Typ)

Manchmal wurde wegen besonderer Gegebenheiten auch vom Raiffeisen-Typ abgewichen, etwa eine Zwangsmitgliedschaft eingeführt oder die Haftung begrenzt. Nicht selten dominieren die angestellten Fachkräfte über die Mitglieder aufgrund ihrer besseren Ausbildung und Information.

So wurde in Ost-Pakistan in Comilla ein Zwei-Stufen-Genossenschaftssystem entwickelt. Wegen sehr kleiner Dörfer gibt es auf Dorfebene nur eine Art Außenstelle, während die eigentlichen genossenschaftlichen Aktivitäten auf Distriktebene durchgeführt wurden.

Ägypten hat im Zug seiner Agrarreform alle Neubauern zwangsweise zur Mitgliedschaft in Agrarreform-Genossenschaften verpflichtet. Diese hatten Entscheidungsbefugnis über Anbau und Absatz, und die Leitung stand anfangs einem vom Landwirtschaftsministerium eingesetzten Manager zu. Damit sollte ein Ertragsrückgang, besonders bei Baumwolle, verhindert werden, was auch weitgehend gelang.

Die Farmers Associations Taiwans sind Genossenschaften auf regionaler Ebene, so daß dörfliche Rivalitäten keine Rolle mehr spielen und ein Umsatzvolumen zustande kommt, daß den Einsatz eines ausgebildeten Stabes von Mitarbeitern rechtfertigt, dem die Geschäftsführung übertragen wurde.

Politische und religiöse Motivationen haben zu Produktionsgenossenschaften, Volkskommunen, Kolchosen und zum Kibbuz geführt. Auch diese weichen von der klassischen Genossenschaft ab.

2.4 Kooperation unter anderen Rechtsformen

In neuerer Zeit haben sich aus verschiedenen Gründen Formen herausgebildet, die ebenfalls die Mitglieder durch gemeinsames Handeln fördern wollen, aber in anderen Rechtsformen als Genossenschaften organisiert sind.

So verlangt die Eingliederung der Landwirtschaft in die arbeitsteilige Wirtschaft bisweilen eine genaue Abstimmung von Produktion, Vermarktung und Verarbeitung, wozu Formen der vertikalen Integration entwickelt wurden, die keinen genossenschaftlichen Status haben.

Im weit bekannten Gezira-Projekt im Sudan wurde eine Art Produktionsförderungsge-meinschaft zwischen Staat, Gezira-Board und Pächtern verwirklicht, bei der der Staat Land und Bewässerung zur Verfügung stellt, daß Board Anbauplanung, Betriebsmittelbereitstellung und Vermarktung der Baumwolle besorgt, während die Pächter auf der Baumwollfläche unter genauer Kontrolle arbeiten. Hinsichtlich der anderen Anbauflächen sind sie unabhängig.

Landwirtschaftliche Aktiengesellschaften sind weitere Beispiele von Kooperation außerhalb des genossenschaftlichen Status und mit voller Integration der Betriebe.

 

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