1. Die Periode stagnierender Landwirtschaft, 1947— 1965

Pakistan ist 1947 nach Abtrennung der überwiegend moslemischen Teile von Indien gegründet worden. Da aber in beiden Teilen auch zahlreiche Angehörige der anderen Religionen ansässig waren, kam es zu einer umfangreichen Flüchtlingswanderung in beiden Richtungen.

Das heutige Pakistan war damals ein reines Agrarland. Die Provinz Punjab ist Teil des größten Bewässerungsgebietes der Erde, während in den übrigen Provinzen nur begrenzte Teile des Landes bewässert waren. Regenfeldbau oder karges Weideland schränkten die Nutzungsmöglichkeiten stark ein. Wenige Fabriken, besonders zur Baumwoll- und Zuckerverarbeitung, fanden sich damals nur in den Städten Karachi und Lyallpur.

Hauptaufgabe für den jungen Staat in den Anfangsjahren waren die Sicherung des Überlebens der Bevölkerung, die Integration von Millionen Flüchtlingen aus Indien und die Legitimierung des neuen Staates. Es war nicht verwunderlich, daß in dem Agrarland die ersten Ansätze der Politik bei der Landwirtschaft erfolgten.

Allerdings waren die Agrarreformmaßnahmen der ersten Jahre wenig durchgreifend. Am erfolgreichsten war noch die Beseitigung der„intermediaries", der mehr oder weniger funktionslosen Rentenbezieher wie Jagirdari und ähnliche. Diese Maßnahmen waren durchsetzbar, weil mit ihnen koloniale Relikte beseitigt wurden. Viel schwieriger war es, dann eine Obergrenze für zulässigen Landbesitz durchzusetzen, obwohl dringend Land zur Verteilung an Flüchtlinge benötigt wurde. Im Jahre 1950 wurde zwar ein entsprechendes Agrarreformgesetz mit Begrenzung des zulässigen Bodeneigentums auf 100 ha bewässerten oder 200 ha unbewässerten Landes erlassen, aber die gegen die Elite des Landes gerichtete Maßnahme konnte meist umgangen werden. Um Boden an die Flüchtlinge verteilen zu können, mußte der Staat seinen umfangreichen Grundbesitz einsetzen. Im Gegensatz zu den Ankündigungen waren Pächter in die Agrarreformmaßnahmen kaum eingeschlossen.

Für den Entwicklungsprozeß war die Struktur der Eliten im Lande bestimmend, die damals — und auch heute noch ist — plurali-stisch war. Grundbesitzer, Militärs und höhere Verwaltungsbeamte teilten sich in den Anfangsjahren die Macht, wobei enge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen diesen Gruppen bewirkten, daß bei politischen Veränderungen oft nur ein anderer Vertreter der gleichen Gruppe Einfluß ausübte. Eine industrielle Elite bestand anfangs kaum. Die späteren industriellen Unternehmerfamilien waren überwiegend aus Indien zugewandert und konnten sich erst im Laufe der Zeit etablieren. Bestimmend waren in den ersten Jahren die Großgrundbesitzer, die teils traditionelle Großagrarier waren, teils auch zur Kolonialzeit ihre Ländereien übertragen bekommen hatten.

Die größeren Grundbesitzer praktizierten überwiegend eine Politik, für die der Begriff „Rentenfeudalismus" geprägt worden ist. Das Land wurde an kleine ungesicherte Pächter zur Bewirtschaftung übergeben. Die Grundbesitzer kümmerten sich wenig um eine Verbesserung der Landbewirtschaftung, sondern suchten durch strikte Kontrolle der Abgaben zu höheren Einnahmen zu kommen. Nicht Produktionssteigerung, sondern Steigerung der Abschöpfung war das Ziel des Erfolgsstrebens. Zwar gab es auch zahlreiche Klein- und Mittelbetriebe, aber auch deren Leistung war sehr begrenzt. Sie praktizierten eine traditionelle Landbewirtschaftung, fast ohne Aufwand von ertragssteigernden Betriebsmitteln und mit Mängeln im Bewässerungssystem, insbesondere im Management. Zunehmende Versalzung begrenzte die Erträge nochmals. Ziel des Wirtschaftens waren mehr die Selbstversorgung sowie Tausch auf lokaler Ebene, und nur zufällige Überschüsse kamen auf den Markt. Weitgehend noch fehlende Infrastruktur machte es in vielen Dörfern auch unmöglich, eine Produktion für den Markt zu betreiben.

Während dieser Zeit gab es verschiedene Versuche, die landwirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, z.B. durch Beratung, durch Genossenschaftsgründungen oder durch ein Community-Development-Programm. Sie hatten alle sehr geringe Erfolge, teils, weil der Ansatzzu isoliert war, teils, weil die personellen und finanziellen Möglichkeiten unzureichend waren, teils aber auch, weil die ländliche Führungsschicht mehr an der Erhaltung des Status quo als an einer Agrarentwicklung interessiert war. Nahezu stagnierende Landwirtschaft bewirkte Produktionsanstiege unter der Rate des Bevölkerungsanstieges zwischen 2,5 und 3% und eine ständige Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten. Diese zehrten nicht nur die knappen Devisen auf, sondern machten politisch abhängig und behinderten die nichtlandwirtschaftliche Entwicklung. Zeitweise beanspruchten die Nahrungsmittelimporte 50% der Kapazität des einzigen Hafens, Ka-rachi, und die Schiffe mußten zwei Monate auf Reede liegen, ehe sio gelöscht werden konnten.

Entsprechend den entwicklungspolitischen Vorstellungen der Zeit haben die ersten Fünf-Jahres-Pläne die Hauptbetonung auf die Entwicklung der Industrie gelegt, aber auch hier waren die Erfolge mager. Fehlende industrielle Tradition, Mangel an Kapital und Devisen, Kaufkraftmangel bei der Masse der Agrarbevölke-rung sowie zu starke Reglementierung bewirkten ein für die Industrie-Entwicklung wenig förderliches Klima. Das ländliche Handwerk mit sehr begrenzter fachlicher Qualifikation bot ebensowenig Grundlage für eine industriell-gewerbliche Entwicklung wie der Basar-Handel Basis für größere kaufmännische Aktivitäten war. Die ländlichen Gebiete deckten auf der Ebene weniger benachbarter Dörfer fast alle Bedürfnisse. Auch der Mangel an kaufkräftiger Nachfrage bewirkte, daß es im rückständigen Agrarsektor keinen Anreiz für gewerbliche Entwicklungen gab.

Zunehmende Bevölkerungszahlen auf dem Lande und Verkleinerungen der Betriebe im Erbgang führten zu steigender ländlicher Unterbeschäftigung. Ein Ausgleich durch Abwanderung war kaum möglich, da die in den Städten entstehenden Arbeitsplätze nicht einmal ausreichten, den Zuwachs an städtischer Bevölkerung aufzunehmen. Außerdem verhinderte das damals noch weitgehend intakte Kastenwesen für viele Bevölkerungsanteile einen Berufswechsel, wie er mit Abwanderung im allgemeinen verbunden ist. Zwar fehlte den Kasten (zat) in Pakistan die religiöse Komponente, aber es sind starre, endogame Patronage-Gruppen, die zum Teil gleichzeitig Berufsgruppen sind, und die sonst häufig eine starke Aversion gegen Handarbeit außerhalb der Landwirtschaft und gegen Arbeit für andere haben.

Während dieser Zeit der stagnierenden traditionellen Wirtschaft und Landwirtschaft gab es auch wenig Kräfte, die auf Veränderung der Verhältnisse hinwirkten. Das Land bestand neben einigen Städten aus einer Vielzahl von isolierten Dörfern mit Analphabeten. Bis zum Krieg gegen Indien von 1965 hatte sich bei der Masse der Bevölkerung wenig Nationalgefühl entwickelt. Es gab auch keine Transistorradios oder andere Kommunikationsmittel, die auf dem Lande verbreitet waren, und damitwardie Welt fürdie Masse der Bevölkerung auf einen Umkreis von wenigen Dörfern beschränkt. Weder politisch noch wirtschaftlich waren Landwirtschaft und urbane Zentren wesentlich miteinander verbunden. Die Aufgaben der Landwirtschaft in diesen Gemeinwesen waren

  • Bereitstellung von Nahrungsmitteln und agrarischen Roh
    stoffen,
  • Kapitalbildung für einen Transfer in andere Sektoren durch
    Steuern oder Preise,
  • Aufbringung von Devisen, besonders durch Baumwollexport,
  • Absorption der steigenden Zahl von Arbeitskräften.


Allen diesen Aufgaben wurde die stagnierende Landwirtschaft nur begrenzt gerecht.