4.2 Grundlegende Analysekonzepte müssen überdacht werden

Die Darstellung der Veränderung im Agrarsektor Pakistans während des Entwicklungsprozesses wirft die Frage auf, ob die üblichen Konzepte eigentlich der Realität entsprechen und damit hilfreich für das Verständnis der Zusammenhänge und Prozesse sein können.

Dies gilt zunächst für das Konzept „landwirtschaftlicher Betrieb". Bei aller Verschiedenartigkeit der agrarischen Landnut-zung in der Welt verbindet sich doch überwiegend mit dem Begriff Landwirtschaft die Vorstellung kleiner Familienbetriebe, auf denen die bewirtschaftenden Familien ihre Arbeitskräfte einsetzen und von deren Erträgen sie leben.

Beides trifft für eine große Anzahl von Fällen nicht zu. Weder stehen die Arbeitskräfte für die Landbewirtschaftung zur Verfügung, da ein Teil anderweitiger Erwerbstätigkeit nachgeht, noch hängt der Lebensstandard von den Erträgnissen des landwirtschaftlichen Betriebes ab, weil zusätzliche Einkünfte vorhanden sind.

Dies hat Konsequenzen für die Investitionsfähigkeit, für die Kre-ditbedürfigkeit, für die Kreditrückzahlungsfähigkeit, aber auch für die Ziele, die mit der Landbewirtschaftung verbunden sind, und für geeignete Förderungsansätze. Die übliche Beziehung zwischen Betriebsgröße und Lebensstandard — differenziert nur durch unterschiedliche Qualität der Bewirtschaftung und der Produktionsbedingungen — besteht nicht mehr. Die Abhängigkeit vieler ländlicher Haushalte von der Landwirtschaft, ihren Preisen, Kosten und Erträgen ist zu gering geworden.

Anstelle von Betrieben sollte man besser von landwirtschaftlichen Haushaltstypen sprechen, die sich als Resultante verschiedener Lebensformen und ökonomischer Aktivitäten ergeben. Dabei können die Einkommensquellen von Haushalt zu Haushalt, von Zeit zu Zeit und von Region zu Region wechseln. Die Haushaltsaktivitäten müssen auch nicht am gleichen Ort stattfinden.

Auch die übliche Vorstellung von Landwirtschaft in makroökonomischer Sicht als einem Sektor, der getrennt von anderen Wirtschaftssektoren bestimmte Rollen im Entwicklungsprozeß zu spielen hat, stimmt nicht mehr recht. Zwar wird eine gewisse InterdependenzderWirtschaftssektoren anerkannt, aberdie Sektoren werden doch als separate Einheit mit Beziehungen zueinander verstanden.

Für den großen Bereich der Mehrfachbeschäftigung sind dagegen die Sektoren so miteinander verschmolzen, daß die alte Modellvorstellung kaum mehr sinnvoll anwendbar ist. Hinter dem Sammelbegriff 'Landwirtschaft' verbirgt sich eine Fülle verschiedenartiger sozialökonomischer Erscheinungsformen. Die Bevölkerung hängt nicht mehr von einem Sektor ab, sie wechselt den Schwerpunkt des Engagements von Jahrzu Jahr, je nach sich ändernden Erfordernissen und Möglichkeiten. Finanziell basiert sie auf mehreren Sektoren und verwendet ihre Mittel im einen oder anderen Sektor.

Anm.: Eine umfassende Bibliographie findet sich in: Pakistan in its Fourth Decade. Current political, social and economic Situation and prospects for the 1980s. Mitteilungen des Deutschen Orient Instituts, No. 23, Hamburg 1983.