4.2 Fremdarbeitsverfassung
Während landlose Arbeitskräfte zur Verrichtung
von landwirtschaftlichen Arbeiten sich früher in erster
Linie aus Sklaverei und Unterwerfung nach Eroberung rekrutierten
und sich zahlenmä-
ßig in engen Grenzen hielten, ist es in neuerer Zeit
in vielen Teilen der Welt zu einer starken Vermehrung der
landlosen Bevölkerung auf dem Lande gekommen. Die starke
Bevölkerungszunahme ohne berufliche Alternativen zwang
diese Menschen dazu, ihre Arbeitskraft denen anzubieten, die
Eigentum am Boden und damit ein Monopol der Existenzgewährung
hatten. Unter dem starken Angebotsdruck haben sich die Verhältnisse
auf dem Arbeitsmarkt stark einseitig verschoben mit dem Ergebnis,
daß Lebensstandard und soziale Sicherung oft äußerst
mangelhaft sind. Die Marktverhältnisse machen sogar gesetzliche
Eingriffe wenig erfolgreich. Lebenssituationen, Arbeitsbeziehungen
und Entwicklungschancen sind bei den einzelnen Typen von Landarbeitern
jedoch sehr verschieden (30; 33).
4.2.1 Freie Landarbeitsverhältnisse
Diesen Typen ist gemeinsam, daß das Arbeitsverhältnis
prinzipiell auf freien Vereinbarungen beruht und aufgelöst
werden kann. In der Praxis ist jedoch die Freizügigkeit
oft durch die schlechte wirtschaftliche Lage beeinträchtigt.
4.2.1.1 Permanente Arbeitsverhältnisse
Landarbeiter mit Daueranstellung in einem Betrieb haben
vergleichsweise die besten Arbeitsplätze. Meist finden
sie sich bei etwas größeren Betrieben, da nur diese
sich permanente Arbeitskräfte leisten können. Wegen
der Daueranstellung, oft im Jahreslohn, entsteht kein Risiko
der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitsverhältnisse sind oft
langdauernd, teilweise lebenslang, und gehen auch bei Übergang
des Betriebs auf den Sohn weiter. Das Verhältnis zum
Arbeitgeber ist patriarchalisch, wobei die positiven und negativen
Seiten dieses Verhältnisses personenabhängig sind.
Nicht selten besteht wegen der langen Arbeitsbeziehung ein
relatives Vertrauensverhältnis. Der Arbeitgeber ist für
Schutz und Hilfe bei Notfällen verantwortlich, während
der Landarbeiter nicht nur seine Arbeitspflichten zu erfüllen
hat, sondern darüber hinaus sich in allen Lebenslagen
und politischen Situationen loyal gegen seinen Arbeitgeber
verhalten muß. Die Bezahlung erfolgt in Geld und/oder
Naturalien und schließt oft Stellung einer Wohnung und
Kleidergeschenke zu Festtagen ein. Aus dieser Schicht rekrutieren
sich bei fortschreitender technologischer Entwicklung Spezialarbeiter
wie Traktorfahrer, Pumpenwärter etc.
4.2.1.2 Plantagenarbeiter
Plantagenarbeiter nehmen unter den Landarbeitern eine Sonderstellung
ein. Ihre Arbeitsverhältnisse haben viele Eigenarten
industrieller Arbeitsbeziehungen. Sie sind oft gewerkschaftlich
organisiert, und die Arbeitsverhältnisse sind durch Arbeitsordnungen
geregelt, die teilweise durch Regierungsverordnungen vorbestimmt
sind. Dennoch sind die Arbeitsbedingungen vielfach schlechter
als bei anderen Arbeitskräften. Die Bezahlung ist oft
sehr niedrig, die Arbeit bei der vorherrschenden Monokultur
eintönig, zum Teil saisonal. Die niedrigen Einkommen
führen zu schlechten Wohn-, Erziehungs- und Gesundheitsverhältnissen
und Abhängigkeit vom Plantagen-Management. In Arbeitsspitzen
müssen oft auch die Familienangehörigen zur Arbeit
erscheinen. Die Plantagenarbeiter rekrutieren sich teilweise
aus Ausländern bzw. rassischen und religiösen Minoritäten.
4.2.1.3 Ländliche Gelegenheitsarbeiter
Bei diesem Typ handelt es sich um Personen, die ihre Arbeitskraft
jedem anbieten, der Verwendung für sie hat. Es ist die
verbreitetste Form ländlicher Arbeitskräfte. Überangebot
oder Kleinheit der Betriebe verhindert, daß sie ein
permanentes Landarbeitsverhältnis eingehen können.
Meist finden sie nur während der Zeit der Arbeitsspitzen
Beschäftigung in der Landwirtschaft und suchen sonst
auch außerhalb der Landwirtschaft Arbeit (Straßenbau,
Häuserbau etc.). Der Übergang vom Landarbeiter in
mehreren Betrieben zum Arbeitslosen, der durch gelegentliche
Arbeitsleistung eine minimale Existenzbasis sichern kann,
ist gleitend. Viele sind mehrere Monate im Jahr arbeitslos.
Ihre wirtschaftliche Existenz ist nur dadurch möglich,
daß sie während der Erntezeit im Akkord arbeiten
und dabei pro Tag das Zwei- bis Dreifache des ortsüblichen
Tageslohnes verdienen und daß oft auch Frauen und Kinder
mitwirken. Trotzdem ist die Unterbeschäftigung groß,
und viele ländliche Gelegenheitsarbeiter leben am Rande
des Existenzminimums. Sobald sich in einer Region alternative
Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen, verschwindet
diese Kategorie.
4.2.1.4 Wanderarbeiter
Wenn in bestimmten Regionen saisonal stärkere Schwankungen
im Arbeitsbedarf auftreten, pflegen Wanderarbeiter aus entfernten
Gebieten zu den Arbeitsplätzen zu kommen. Besonders bei
arbeitsintensiven Monokulturen entwickeln sich derartige Verhältnisse.
Teilweise versuchen auch Gelegenheitsarbeiter, die Zeit der
hochbezahlten Erntearbeiten auszudehnen, indem sie von Zonen
mit frühen Ernteterminen zu Zonen mit späten Ernteterminen
wandern. Solche Wanderwege sind oft dauerhaft, und oft kommen
jährlich die gleichen Wanderarbeiterkolonnen in bestimmte
Dörfer. Manchmal gehören die Wanderarbeiter bestimmten
ethnischen, rassischen oder religiösen Minoritäten
an. In neuerer Zeit sind besonders in Afrika die Wanderarbeitsverhältnisse
durch das Entstehen von Nationalstaaten mit Grenzen in Schwierigkeiten
gekommen, weil grenzüberschreitende Wanderungen nicht
mehr so leicht möglich sind.
4.2.1.5 Landarbeiter mit Kleinbetrieben
Zunehmende Verkleinerung der Betriebe im Erbgang zwingt
dazu, die Arbeitskraft bei anderen Landbewirtschaftern gegen
Entgelt anzubieten, um so die Einkünfte zu verbessern.
Diese Landarbeiter mit Eigenbetrieb sind sehr verbreitet,
erscheinen jedoch kaum in der Statistik, da sie dort als Landwirte
oder Pächter eingestuft werden. Zum Teil rekrutiert sich
diese Gruppe auch aus kleinen Pächtern, die wegen Verschuldung
ihr früheres Landeigentum verloren haben. Während
meist Zuverdienst gesucht wird, ist manchmal die Bereitschaft
zur Arbeitsleistung Voraussetzung dafür, Land pachten
zu können.
4.2.1.6 Kolonen
Vom eben beschriebenen Typ besteht ein gleitender Übergang
zu Landarbeitern, die als Entgelt für eine bestimmte
Zahl von Arbeitstagen beim Grundbesitzer ein Stück Land
zur eigenen Bewirtschaftung übertragen bekommen haben.
Das Kolonat ist besonders in Lateinamerika verbreitet.
4.2.1.7 Landwirtschaftliche Dienstleistungsberufe
Die zur Landbewirtschaftung (Schmied, Stellmacher) und zur
Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse (Weber, Töpfer,
Barbier) erforderlichen handwerklichen Dienste werden nur
z. T. in Lohnarbeit verrichtet. In vielen Gesellschaften hat
sich ein Gegenseitigkeitsverhältnis herausgebildet, wie
es am stärksten im südasiatischen Jajmani- und Sep-System
(7; 36) entwickelt ist. Dabei stehen die Dorfhandwerker mit
den Landbewirtschaftern in einem Verhältnis, das pauschale
Verrichtung aller einschlägigen Arbeiten gegen pauschale
Bereitstellung der zur Existenz erforderlichen Nahrungs- und
Wohnbedürfnisse umfaßt. Damit haben die Handwerker
Schutz vor Arbeitslosigkeit, während die Landbewirtschafter
sicher sind, jederzeit die nötigen Fachkenntnisse zur
Verfügung zu haben. Dieses oft erbliche Verhältnis
wird durch gekoppelte soziale Dienstleistungen noch verfestigt.
Es ist jedoch rein statischer Natur und pflegt sich bei Aufkommen
beruflicher Alternativen aufzulösen.
4.2.2 Gebundene Arbeitsverhältnisse
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen gebundene
Arbeitsverhältnisse aus politischer Unfreiheit (Sklaverei)
herrührten, spielen heute andere Mechanismen, insbesondere
wirtschaftliche Verpflichtungen, eine wichtige Rolle. Auf
niedrigster Stufe der Existenzbedingungen und bei starker
Rechtsunsicherheit mag auch das freiwillige Eingehen von Bindungen,
um Schutz und Existenzsicherung zu suchen, eine nicht geringe
Rolle spielen.
4.2.2.1 Permanente gebundene Arbeiter
Permanente Arbeitsverhältnisse, die nicht gewechselt
werden können, auch wirtschaftliche Sklaverei genannt,
entstehen durch Verschuldung von Landarbeitern. Diese gehen
dann einen Vertrag ein, der sie bis zur Rückzahlung der
Schuld an den Kreditgeber bindet. Wegen des geringen Arbeitslohnes
und der hohen Verzinsung der Schuldsumme pflegt diese sich
nur zu erhöhen, während an eine Rückzahlung
kaum zu denken ist. Kredite zur Bestreitung von Heiratskosten
und Vorauszahlung beim Eingehen des Arbeitsverhältnisses
sind häufige Entstehungsursachen. Die Schuld- und Arbeitsverträge
sind teilweise erblich. Derartige Verträge sind in vielen
Ländern illegal, aber bei der Notlage und Rechtsunsicherheit
bestehen wenig Chancen für die Arbeiter, ihr Recht durchzusetzen
(45).
Eine mildere Form stellen die Arbeiter auf Abruf dar. Der
Grundbesitzer gibt hier ein zinsfreies Darlehen oder Wohnrecht
gegen die Verpflichtung für den Kreditnehmer, jederzeit
auf Abruf zur Arbeit zu erscheinen. Dieses Verhältnis
sichert Arbeitskräfte zu jeder Zeit ohne die Verpflichtung
zu ständiger Beschäftigung und Bezahlung. Die Arbeitsvergütung
erfolgt meist zum Normallohn, auch zur Zeit der Arbeitsspitze.
Teils bestehen Arbeitspflichten im Haushalt für die weiblichen
Familienangehörigen der Schuldner.
4.2.2.2 Arbeitspflichten von Pächtern
Nicht selten beanspruchen Grundeigentümer das Recht,
ihre Pächter ständig zu Arbeitsleistungen zu beordern.
Sie haben damit faktisch das erste Recht auf die Arbeitskraft,
also zu Zeiten, wenn die Arbeitskraft am teuersten ist. Eine
Bezahlung erfolgt teils nicht, teils zu niedrigen Sätzen,
teils erst nach mehreren Tagen Arbeit. Verbreiteter ist noch
die Erwartung kostenloser kleiner Dienstleistungen zu jeder
Zeit: Anspannen, Wagenabladen etc. Bei bestimmten Arbeiten
wie Haus- und Stallbau rechnen die Landbewirtschafter mit
kostenloser Arbeitsleistung ihrer Arbeitskräfte gegen
bloße Verköstigung.
4.2.3 Kollektive Arbeitsverfassung
Die Arbeitskräfte in den verschiedenen Formen von Produktionsgenossenschaften
nehmen eine Mittelstellung zwischen Familien- und Fremdarbeitskräften
ein. Rechtlich und hinsichtlich der erwarteten Arbeitsmoral
stehen sie den Familienarbeitskräften nahe. Es bestehen
Möglichkeiten zur Mitverantwortung und Mitbestimmung.
Hinsichtlich Kompetenz, Behandlung und Vergütung ähneln
sie mehr den Fremdarbeitskräften. Besonders die Entlohnungsfrage
pflegt in der Praxis große Schwierigkeiten zu bereiten.
Auch die Frage von Anreizen und Interessenlage ist nicht eindeutig
gelöst.
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