5.2 Feudalistische Landwirtschaft
Feudalismus wird hier nicht historisch auf bestimmte gesellschaftliche
Perioden beschränkt gesehen, sondern als gesellschaftliche
Schichtung mit krassen Unterschieden in Eigentum, Einkommen,
Prestige, Bildung und Macht zwischen wenigen Großgrundbesitzern
und der Masse der Landarmen und Landlosen. Zwischen diesen
Schichten besteht ein System gegenseitiger Rechte und Pflichten.
5.2.1 Rentenfeudalismus
Aus Lehen, Steuerpacht oder wirtschaftlicher Vormacht des
„Landlord" gegenüber Landlosen ohne alternative
Existenzmöglichkeiten hat sich ein Herrschaftsverhältnis
zwischen der grundbesitzenden Oberschicht und abhängigen
Landbewirtschaftern entwickelt. Dabei haben letztere für
Landzuteilung Abgaben (Pachtzins) und Dienste zu leisten,
teils auch persönliche Abhängigkeiten in Kauf zu
nehmen. Dieses System ist in vielen Teilen Asiens anzutreffen
(25).
Dem Landlord (Grundherren) gehören Boden, Wasser und
oft auch andere Produktionsmittel, während der Pächter
das Land für eine Wachstumsperiode zur Bewirtschaftung
erhält. Oft wird die Pacht stillschweigend verlängert,
aber es besteht keine rechtliche Absicherung. Der Rohertrag
wird im häufig vorkommenden Teilbau geteilt, oft 50:50,
und der Pächter unterliegt den Anweisungen des Landlord,
hat also keine Dispositionsfreiheit (zum Teilbau vgl. oben
Abschn. 3.2.5). Er ist oft ein Analphabet und nicht selten
beim Grundherren verschuldet, wobei dies vielfach provoziert
wird, um die Abhängigkeit zu erhöhen. Die Übergabe
von sehr kleinen Flächen verhindert eine wirtschaftliche
Besserung beim Pächter. Zwischen Landlord und Pächter
steht teilweise eine parasitäre Schicht von Verwaltern,
früher auch Zwischenpächtern, besonders bei „Absentee
Landlords". Die Wirtschaftsweise ist arbeitsintensiv
und kapitalextensiv. Ziel des Landlord ist nicht Gewinn durch
hohen Ertrag, sondern durch hohe Abschöpfung, und diesem
Ziel dient die Wirtschaftsgestaltung. Der Boden ist für
den Grundherren Rentenobjekt, aber auch Prestigeobjekt.
In neuerer Zeit ist dieses statische Agrarsystem durch die
Agrarreformen der Nachkriegszeit zurückgegangen. Zum
Teil hat allerdings nur der „petty landlord" den
„big landlord" abgelöst, und die Abhängigkeit
vom im Dorfe lebenden Grundbesitzer ist oft noch stärker.
In Gebieten der „Grünen Revolution" hat sich
das System aufgelöst, wenn Grundbesitzer das Land in
Eigenbewirtschaftung genommen haben, weil ihnen dies, besonders
bei der sich ändernden Sozialordnung, wirtschaftlich
sinnvoller erschien.
5.2.2 Latifundienwirtschaft
Latifundium ist ein Sammelbegriff für überdimensionale
Grundeigentumsflächen. Verbreitetste Form ist die Hazienda
(Fazenda, Fundo), die in vielen Teilen Lateinamerikas vorkommt
(28; 59). Eine Hazienda ist ein wirtschaftliches und soziales
Gebilde, das weitgehende Autarkie anstrebt, ein kleiner Staat
im Staat. In einer Hazienda kommen mehrere Bodennutzungssysteme
und Arbeitsorganisationsformen nebeneinander vor. Zentrum
ist oft eine Plantage mit Intensivkulturen oder ein Viehzuchtbetrieb.
In Nebenbetrieben werden Feldfrüchte für die Landarbeiter
angebaut, oder es finden sich extensive Dauerkulturen. Im
Gebiet der Hazienda mögen Pächter selbständige
Kleinbetriebe bewirtschaften (Minifundien), Landarbeiter als
Kolonen Flächen bebauen und wilde Siedler ohne Rechte
ungenutzte Flächen bestellen, bis sie verwiesen werden
oder geforderte Abgaben entrichten. Die Fläche einer
Hazienda schließt nicht selten große Waldflächen
ein. Es handelt sich also nicht um einen geschlossenen Großbetrieb,
sondern um eine Vielzahl von Einheiten, die mehr oder weniger
verbunden sind, besonders arbeitswirtschaftlich. Bei manchmal
intensiver Bewirtschaftung einzelner Teile ist die Wirtschaftsweise
der Gesamteinheit extensiv. Trotz bestehenden Landmangels
der Kleinbewirtschafter gibt es viel unerschlossenes und unterbewirtschaftetes
Land. Für den Haziendero und seine Familie ist der Boden
vorrangig nicht Produktionsmittel, sondern Objekt von Ansehen,
Macht und Spekulation. Die Eigentümer der großen
Landbesitze stellen die Finanzaristokratie der Länder
dar, kontrollieren wichtige Ämter in Staat und Militär,
streben aber doch einen ausgeprägten Regionalismus an.
Die Hazienda ist die soziale Einheit, die das Leben der
Mitglieder von der Geburt bis zum Tod bestimmt. Sie übernimmt
Funktionen wie Schule, Kaufladen, Krankenversorgung, Altenunterstützung,
wenn auch auf niederem Niveau. Ein Ausbrechen ist für
die armen und verschuldeten Pächter und Arbeiter kaum
möglich, da sie woanders keine Arbeit erhalten. Das Streben
nach Isolation verhindert den Aufbau einer Infrastruktur im
Lande. Innerhalb der Hazienda besteht weitestgehende Naturalwirtschaft:
Pflanzen, Ernten, Transportieren ist ohne Geld möglich
(Kolonat, Teilbau). Güter werden im Laden der Hazienda
eingetauscht, der ein Preismonopol hat. Vorschüsse bewirken
Verschuldung und binden die Arbeitskraft. Arbeitslohn wird
nicht bar ausgezahlt, sondern mit dem Konto im Laden verrechnet.
Die ausgeprägte Klassenstruktur hat Grundbesitz und
Rasse als wesentliche Schichtungsfaktoren. Überfluß
und Mangel stehen nebeneinander wie in kaum einem anderen
Agrarsystem.
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