1.c) Saisonale Wanderungen

Während die starke Land-Stadtwanderung Ergebnis von Entwicklungen der neueren Zeit ist, sind saisonale Wanderungsbewegungen bereits seit langem ein Charakteristiskum der afrikanischen ländlichen Beschäftigungssituation. Bezüglich der Art, des Umfanges und der Dauer solcher Wanderungen bestehen große Unterschiede von Region zu Region. Ihre wesentliche Ursache ist der fehlende Ausgleich zwischen der verfügbaren Arbeitskraft und den bestehenden Verwendungsmöglichkeiten. Durch zeitweilige Wanderungen wird das Verhältnis von Arbeit zu Boden oder anderen Produktionsmitteln den Bedürfnissen besser angepaßt. Außerdem bewirken solche Wanderungen ein elastischeres Angebot von Arbeitskräften in Zeiten des Bedarfs. Diese Wanderungen geschehen teils innerhalb der Staatsgrenzen, teils sind sie international. In Westafrika spielt die Wanderung von Arbeitskräften während der arbeitsarmen Zeit aus den Savannengebieten zur Ernte der Exportfrüchte wie Kakao und Kaffee in den Küstenzonen eine besondere Rolle. In Ostafrika ist die Wanderung von Gebieten mit Subsistenzlandwirtschaft in die Bergbau- und Industriegebiete und in Zonen mit kommerzieller Landwirtschaft von Bedeutung. In den meisten Fällen ist die saisonale Wanderung aus wirtschaftlichen Gründen erzwungen. Die Einkünfte aus der Subsistenzwirtschaft reichen nicht aus; die Männer sind gezwungen, sich zusätzliche Arbeit zu suchen, um der Familie ein Auskommen zu sichern. Wegen der saisonal stark schwankenden Arbeitsanforderungen in der Subsistenzwirtschaft — bedingt durch die klimatischen Gegegebenheiten — sind die Voraussetzungen dazu auch gegeben.

In neuerer Zeit verringert sich auch der Umfang solcher Wanderungsbewegungen. Früher waren z. B. die Arbeiter in den Minen gezwungen, nach gewisser Zeit zumindest vorübergehend wieder in das Wohngebiet ihres Stammes zurückzukehren, um dadurch ihr Anrecht auf Land zur Nutzung aufrechtzuerhalten. Dieses Recht hat eine große Bedeutung, denn es stellt die einzige soziale Sicherung im Alter und bei Invalidität bzw. Arbeitslosigkeit dar. Mit der Einführung der Sozialversicherung haben sich jetzt viele der früheren Wanderer in der Nähe der Minen angesiedelt. Um ihre Ansprüche aus der Sozialversicherung aufrechtzuerhalten, müssen sie ständig in den Minen arbeiten. Es besteht aber kein so dringender Anlaß mehr, in das Stammesgebiet zurückzukehren, da die Sozialversicherung jetzt die Altersversorgung übernommen hat.

Überhaupt ist das Ziel solcher zeitweiliger Wanderungsbewegungen heute mehr und mehr die kommerzielle Landwirtschaft, deren saisonale Arbeitsspitzen auf diese Weise abgedeckt werden. Fluktuationen im Arbeitsbedarf in den Städten können mit steigender Zahl der städtischen Arbeitslosen aus diesem Reservoir ausgeglichen werden.

Auch die Zahl der früher verbreiteten "target migrants" geht stark zurück. Es handelt sich hier um meist junge Männer, die für ein bis zwei Jahre in ein Industriezentrum gehen, um sich hier das Geld für bestimmte Ziele (Brautpreis, Fahrrad usw.) zu verdienen, und die in engem Kontakt mit ihren Angehörigen bleiben, wie aus den zahlreichen Geldüberweisungen deutlich wird. Auch dieser Typ wird mehr und mehr durch permanente Abwanderer abgelöst.

Die internationalen Wanderungsbewegungen werden auch durch politische Faktoren erschwert oder unterbunden. Einige afrikanische Länder kontrollieren jetzt streng den Grenzverkehr und verhindern eine Auswanderung. So hat z. B. die Gezira-Region traditionell zahlreiche Arbeitskräfte zur Baumwollernte aus Niger und dem Tschad erhalten. Da aus diesen Ländern eine Auswanderung nicht gestattet ist, wurde eine völlige Umgestaltung der Arbeitswirtschaft nötig.