Agrarreform und Siedlungswesen
FRITHJOF KUHNEN
1. Definitionen und Abgrenzung
Bezüglich des Begriffs und Inhalts der Agrarreform
gibt es keine generell anerkannte Auffassung. In früherer
Zeit, als der Umfang des Eigentums an Land bestimmend war
für Einkommen, sozialen Status und Macht, konnte Forderungen
nach einer Änderung dieser Gegebenheiten durch reine
Landumverteilungen Rechnung getragen werden. Solche Maßnahmen
zur Änderung der Verteilung von Rechten und Nutzung am
Boden wurden „Bodenreform" oder „Landreform"
(so auch englisch) genannt. Sie sind primär politische
Ereignisse und auch heute noch erforderlich.
Während der letzten 30 Jahre kam es zu einem früher
unbekannten Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung, und
bald erkannte man die zentrale Rolle, die Land und Landwirtschaft
im Entwicklungsprozeß haben. Die Entwicklungsplanung
verlangte nach einem Konzept, das neben Egalitätsgesichtspunkten
auch solche der Produktions- und Produktivitätssteigerung
einschließt. Der neue Begriff „Agrarreform"
kann definiert werden als Maßnahmen zur Überwindung
der Hindernisse für eine wirtschaftliche und soziale
Entwicklung, die von Mängeln der Agrarstruktur herrühren.
Die so definierte Agrarreform schließt sowohl Änderungen
in den Bedingungen des Bodenbesitzes (Eigentum, Pacht etc.)
(„Bodenbesitzreform") als auch solche der Organisation
der Bodenbewirtschaftung (Betriebsgrößen, Förderungsinstitutionen
etc.) („Bodenbewirtschaftungsreform") ein (SCHILLER,
50). Maßnahmen der Bodenbewirtschaftungsreform sind
entwicklungspolitisch von besonderer Bedeutung, da sie oft
über den Erfolg der Maßnahmen zur Umverteilung
von Bodenrechten entscheiden. Zudem ist hier die Wachstumskomponente
der Agrarreform verankert. Der Begriff „Agrarreform"
(englisch „agrarian reform") hat sich nicht zuletzt
deswegen durchgesetzt, weil er in der Arbeit der Vereinten
Nationen verwandt wird. Trotzdem bedauern manche Autoren die
Ausweitung des früheren Begriffes „Bodenreform"
oder „Landreform". Sie vermissen eindeutige Unterschiede
zur allgemeinen Agrarpolitik und sehen die Gefahr, daß
über einige produktionsfördernde Maßnahmen
die politischen Grundziele der Agrarreform verwässert
werden (59; 19). Immerhin besteht ein grundsätzlicher
Unterschied zwischen Agrarreform und allgemeiner landwirtschaftlicher
Entwicklungspolitik darin, daß erstere stets auch Umverteilungsmaßnahmen
einschließt. Im übrigen entsprechen alle Reformen
der letzten Jahrzehnte dem Konzept „Agrarreform".
Die
Begriffe „Agrarreform" und „Agrarrevolution"
werden in der Literatur nicht sauber getrennt. Sie unterscheiden
sich auch weniger hinsichtlich ihrer Ziele als in der Radikalität
und im Tempo ihrer Ausführung (4). Diese sind zwar bei
der Agrarreform geringer, aber dafür fehlt der Agrarrevolution
die Planung und damit viel an politischer Gestaltungsmöglichkeit.
Daher pflegen auch Agrarrevolutionen nach dem Umsturz nicht
selten in Agrarreformen überzugehen. Agrarrevolutionen
sind nicht mit sozialistischen oder kollektivierenden Agrarreformen
gleichzusetzen. Sowohl Agrarreformen als auch Agrarrevolutionen
können distributive wie auch kollektivierende Ziele haben.
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