3. Ziele der Agrarreform

Agrarreformen sind im Kern Änderungen bestehender Machtverhältnisse und damit politische Erscheinungen. In neuerer Zeit versucht man immer häufiger, wirtschaftliche Ziele mit den sozialen und politischen Veränderungen zu verbinden. Meist sind die Ziele der Agrarreform wenig präzise formuliert, und man muß sie eher aus dem Maßnahmenkatalog entnehmen als aus den eigentlichen Zielerklärungen. Dies rührt daher, daß Agrarreformmaßnahmen meist schnell in unruhigen Zeiten erlassen werden. Unpräzise Zielangaben machen es auch leichter, im Laufe der Reform Änderungen vorzunehmen und bringen der Regierung mehr Flexibilität.

Im übrigen bestehen zwischen den erklärten Zielen und den tatsächlichen Zielen, wie sie aus den Maßnahmen hervorgehen, nicht selten Unterschiede, besonders wenn die Reform der Regierung von außen oder durch inneren Druck aufgezwungen wurde. Ebenso sind die Ziele der Reformfürsprecher während der Diskussionsphase und die der eigentlichen Reformer nicht unbedingt identisch. In der Praxis findet sich meist eine Mischung von verschiedenen Zielen, wobei auch Zielkonflikte auftreten.

Zu den politischen Zielen von Agrarreformen zählt in erster Linie die Beseitigung von feudalen Herrschaftsformen und Großgrundbesitz. Durch Befreiung der Kleinbauern und Pächter soll die Ursache für die Unruhe der Landbevölkerung beseitigt werden, und diese sollen zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft gemacht werden. Viele Reformer versprechen sich davon eine Festigung der Demokratie. Nicht wenige Reformen sind erlassen worden, um politische Machtpositionen zu brechen oder die politische Stabilität im Staate zu fördern. Reformen kurz vor einer drohenden Revolution stärken die alte Ordnung, solche nach einer Revolution helfen bei der Legitimierung der neuen Machthaber.

Bevorzugte soziale Ziele sind eine gleichmäßigere Verteilung von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen. Solch eine Umverteilung bringt zwangsläufig einen Interessenkonflikt zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden mit sich und ist daher eine politische Frage. Ähnliches gilt für Ziele wie die Besserung des sozialen Status für die Landbevölkerung oder für die Beseitigung von überholten Bindungen.

Zu den wirtschaftlichen Zielen gehört die Förderung von Produktion und Produktivität in der Landwirtschaft. Außerdem soll der Faktor- und Marktbeitrag verbessert werden. Insbesondere erhofft man sich durch Schaffung kleiner Betriebseinheiten, daß mehr Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt wird und so die Beschäftigung steigt.

Diese Ziele sind in ihrer Bedeutung für konkrete Fälle abhängig von der Ausgangslage, dem schon erreichten Niveau der Entwicklung und vom herrschenden oder einzuführenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Historisch kam dem Gleichheitsziel große Bedeutung zu. In neuerer Zeit kommt es zu stärkeren Unterschieden: Je nach politischer Ideologie soll sozialistische Landwirtschaft geschaffen werden, oder es sollen Familienbetriebe entstehen. Steht der Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung im Vordergrund, so werden Produktionsanstieg, vermehrte Beschäftigung und Beseitigung von Entwicklungshindernissen angestrebt. Sobald eine höhere Entwicklungsstufe erreicht ist, ändern sich die Zielsetzungen einer Reform: Wenn auch Arbeitsplätze in einer sich entwickelnden Industrie zur Verfügung stehen, dann wird Einkommensverteilung wichtiger als Landverteilung. Steigende Einkommenserwartungen verlangen tendenziell größere Betriebseinheiten. Technologische Entwicklungen werfen die Frage nach einer adäquaten Agrarstruktur erneut auf. Wie Agrarreform kein einmaliges Ereignis ist, sondern ein fortlaufender Anpassungsprozeß an sich ändernde Gegebenheiten, so ändern sich auch die Reformziele nach Art und Priorität.

Noch weniger einheitlich als die Auffassungen über grundlegende Ziele von Agrarreformen sind die Meinungen über die zu schaffende Agrarstruktur. Sozialistische Länder erstreben eine Verstaatlichung oder Kollektivierung des Bodens, schließen jedoch kleine Privatwirtschaften, die beachtlichen Umfang annehmen können, nicht aus. In nichtsozialistischen Ländern werden meist kleine Familienbetriebe in Indivi-dualbesitz oder mit Dauernutzungsrechten geschaffen. Aber auch hier wird mit Gemeinschaftsformen der Bodennutzung und mehr noch im Dienstleistungsbereich versucht, die Vorteile großer Einheiten nutzbar zu machen. Im Extremfall gehen diese nichtsozialistischen Beispiele ebenfalls bis zur Kollektivierung.