6.1 Umverteilung wirtschaftlicher und politischer Macht

Da in Agrargesellschaften Grundeigentum wichtigste Basis wirtschaftlicher und politischer Macht ist, vermag eine Bodenbesitzreform Machtunterschiede auf Dorfebene zu verringern (26). Allerdings darf man gerade auf Dorfebene keine übertriebenen Hoffnungen haben: Der Übergang vom „big landlord" zum „petty land-lord", wie er durch Landobergrenzen-Gesetze bewirkt wird, ändert die Abhängigkeit der Kleinbauern und Pächter kaum (28). Manchmal nimmt die Kontrolle sogar zu, wenn aus dem abwesenden Großgrundbesitzer ein ortsansässiger Grundbesitzer geworden ist. Außerdem vermag der Grundbesitzer den Verlust an Land durch intensivere Nutzung ausgleichen, so daß seine wirtschaftliche Macht unverringert ist. Schließt die Agrarreform keine Bereitstellung von Krediten ein, dann ändert sich in den lokalen Machtverhältnissen kaum etwas.

Auch auf regionaler und nationaler Ebene mag die Reform die Machtposition der Grundbesitzer eindämmen, wobei das Ausmaß stark vom Umfang und der Form der Entschädigung abhängt. Hohe Entschädigungen führen kaum zu Änderungen der Machtstrukturen auf nationaler Ebene, da ja die Basis der Macht jetzt in anderen Sektoren angelegt wird. Die institutionellen Begrenzungen wirtschaftlicher Macht und die Kontrolle ihrer Einflußnahme auf die Politik mögen allerdings im industriellen Sektor besser und einfacher sein als im Agrarsektor. Kollektive Reformen mit entschädigungsloser Enteignung und Abschaffung privaten Bodeneigentums haben eine viel durchgreifendere Wirkung und verschieben die Basis der Macht zumindest auf andere Bereiche.

Während sich die Unterschiede zwischen ländlicher Oberschicht und Unterschicht durch Agrarreform-Maßnahmen verringern, haben diese nur geringen Einfluß auf regionale Ungleichheiten. Dies gilt auch für kollektivierende Reformen. Zum Teil verstärken sich regionale Unterschiede sogar dadurch, daß die Reform zu verstärkten Aktivitäten anregt. Diese werden um so erfolgreicher sein, je günstiger die natürlichen und wirtschaftlichen Produktionsbedingungen in einer Region sind. Auch sektorale Ungleichheiten werden von Agrarreformen höchstens sekundär durch Produktionssteigerung beeinflußt, andererseits aber durch Begrenzung landwirtschaftlichen Vermögens eher verstärkt. Eine Beseitigung regionaler und sektoraler Dualismen würde die Integration der Agrarreform in das Gesamtkonzept der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zur Voraussetzung haben. Sie wäre deshalb am ehesten mit Reformen zu erreichen, die sich nicht nur auf die Landwirtschaft beschränken, sondern alle Aspekte des ländlichen Lebens einschließen.

Schließlich ist zu bemerken, daß durch eine Agrarreform ein Machtzuwachs beim Staat eintritt. Die Zurückdrängung der Großgrundbesitzer schafft ihm Handlungsfreiheiten, und vielfach übernimmt er wirtschaftliche Dienste in vor- und nachgelagerten Bereichen. Darüber hinaus gewinnt der Staat an Einfluß durch seine Lenkungsmöglichkeiten für Entschädigungszahlungen.