1.1.3 Änderungen der Bodenordnung zu britischer Zeit

Zunächst war die East India Company die Vertretung der Briten in Indien, eine Handelsgesellschaft, die in Schwierigkeiten kam mit ihren Geschäften, als der Export von Gold und Silber aus England zur Bezahlung indischer Waren verboten wurde, während englische Waren in Indien nicht gefragt waren. Die Company fand eine Lösung, indem sie Geld zur Bezahlung indischer Waren aus Indien beschaffte. Sie bewarb sich als Steuerpächter, zunächst für kleine Gebiete, 1965 dann für ganz Bengalen, Bihar und Orissa, und konnte jetzt gegen eine feste Summe an die Moghulkaiser sehen, wieviel Steuern sie aus den Landbewirtschaftern herausholen konnte.

Nach einiger Zeit des Experimentierens über das zweckmäßigste Steuererhebungsverfahren wurde 1793 mit der ‘Permanent Settlement’ von Lord Cornwallis eine endgültige Regelung eingeführt, die zu einschneidenden Änderungen der Bodenordnung führen sollte. Mit diesem Erlaß wurden die örtlichen Steuererheber als Eigentümer des Landes in ihrem Bezirk eingesetzt. Diese sogenannten ‘Zamindare’

Die Briten erklärten die Steuereinnehmer zum Landeigentümer und führten damit Privateigentum am Boden in Indien ein

mußten die Steuern in einmalig festgesetzter, dann stets gleichbleibender Höhe einsammeln und abliefern. Es blieb ihnen überlassen, wieviel sie den Landbewirtschaftern abverlangten.

Es gibt zwei Theorien, warum die Briten dies getan haben:

1) Es mag sich um einen Irrtum gehandelt haben. Die mit den Verhältnissen Indiens wenig vertrauten Engländer sahen wie zu Hause Personen, die Land bewirtschafteten und Steuer zahlten, und andere, die die Steuern kassierten und an den Herrscher ablieferten, und hielten - wie in England - die Letzteren für die Landlords.
2) Es könnte sein, daß man bewußt eine kleine Schicht begünstigen wollte, um sich diese Elite gewogen zu machen und um das Land leichter beherrschen zu können.

Das den Zamindaren übertragene Eigentumsrecht am Boden war veräußerlich, verpachtbar und erblich. Aus dem alten Privileg zur Nutzung war ein Novum für Indien geworden: Land als verkäufliche Ware. Die bisherigen Landbewirtschafter erhielten den Status eines ‘occupancy tenants’, einer Art Erbpächter, dessen Rechte nicht angetastet wurden, solange er seine Steuern bezahlte. Im Gegensatz dazu waren die Pächter auf dem Eigenland der Zamindare ‘tenants-at-will’, also kündbare Pächter.

Unterschiedliche Pächterkategorien entstehen

Zunächst war die gleichbleibende Steuer ein Anreiz für die Zamindare, mehr Land in Bewirtschaftung zu bringen und so mehr Steuerzahler in ihrem Gebiet zu haben. Dazu durften sie den Einzelnen nicht zu sehr auspressen, um für Siedler attraktiv zu sein.

Die gleichbleibende Steuer war Anreiz zu Landkultivierung

Nachteilige Folgen der Überführung der Steuereinnehmer zu Grundherren und der Einführung verkäuflichen Privateigentums am Boden traten erst zutage, als sich von außen die wirtschaftlichen Gegebenheiten änderten. Die industrielle Revolution in England bewirkte eine Änderung der Indienpolitik. Ziel waren jetzt nicht mehr Importe aus Indien, sondern Absatz englischer Fabrikerzeugnisse in Indien. Es kam zur Einfuhr erheblicher Mengen billiger Produkte der mechanischen Webstühle, und dies bewirkte einen Zusammenbruch der indischen Textil-Heimindustrie. Die Weber wurden arbeitslos und gingen auf das Land, um Pachtland als Existenzgrundlage zu erhalten.

Textilimport Indiens
aus England
Einwohnerzahl
Daccas
1824
6 Mill yards
150.000
1837
64 Mill yards
20.000

Patel, J. Agricultural Labourers in Modern India and Pakistan, Bombay 1952, S. 39

Das Ausmaß der Abwanderung führte zu einem Druck auf den Boden und veränderte das Verhältnis von Zamindaren zu Pächtern. Bei der großen Nachfrage

Textilimporte aus England zwang arbeitslose Weber auf das Land und erhöhte den Druck auf den Boden

konnten die Zamindare die Abgaben immer mehr hinaufschrauben, was bald zu Verschuldung und oft zu Verlust der occupancy-Rechte führte.

Verschiebungen auf dem Pachtmarkt bewirkten einen Anstieg der Abgaben und Verarmung der Pächter

Die hohe Diskrepanz zwischen abzuliefernder Steuer für ihr Gebiet und ihren Einnahmen brachte den Zamindaren Wohlstand. Bald kassierten sie nicht mehr selbst die Abgaben, sondern gaben dieses Amt in Unterverpachtung weiter, und nicht selten suchten sich auch die Unterpächter wieder einen Unterpächter.

Zersplitterung der Bodenrechte in Bengalen vor dem 2.Weltkrieg

Zur Steuer veranlagte Grundbesitzfälle: 153.200
Titel: 2,7 Millionen

Report der Land Revenue Commission, Bengal, Calcutta 1940, Vol. III, S. 107

Nicht selten hatten nach einiger Zeit 10 - 20 mehr oder weniger funktionslose Zwischenpächter zwischen Staat und Landbewirtschaftern einen Anteil am Ertrag der Bodenbewirtschaftung.

Die hohen Einkünfte führten zu Unterverpachtung der Steuererhebung und zu ‘abwabs’ und ‘begar’.

Zusätzlich wurden ‘abwabs’ eingeführt, Zuschläge und Gebühren ohne sachliche Begründung, und die Landbewirtschaftung mußten ‘begar’ leisten, unentgeltliche Arbeit auf dem Land des Zamindars.

All dies führte zu einer Verarmung der Landbewirtschafter, aber auch zu Nachteilen für den Staat, da die einmal festgesetzte Steuer nach 150 Jahren nur noch eine Anerkennung war.

Unterschiedliche Steuerfestsetzungsperioden in verschiedenen Teilen des Landes bewirken unterschiedliche Flexibilität

Daher wurde in später unter britische Kontrolle gekommene Gebiete ein anderes Steuersystem eingeführt. In Madras, Bombay und Assam beanspruchte der Staat das Eigentum an der gesamten Bodenfläche, gab diese in ‘ryatwari’ an die Bewirtschafter mit der Auflage der Steuerzahlung weiter. Die Steuer wurde im ‘temporary settlement’ immer nur für 30 Jahre festgesetzt und dann angepaßt. In Nordindien und dem Punjab, wo Dörfer mit gemeinschaftlichen Rechten am Boden verbreitet waren, entwickelte sich das ‘mahalwari’ System. Die Steuerveranlagung erfolgte hier für die Dorfgemeinschaft als theoretischem Landlord gemeinsam, die sie auf die einzelnen Landbewirtschafter umlegen, einsammeln und abliefern mußte.

Bevölkerungsvermehrung und Erbteilung bewirkte zunehmende Verarmung

Auch in diesen Gebieten verschlechterte sich die Lage der Landbewirtschafter bei der hohen Besteuerung. Die Hälfte bis zwei Drittel des Nettoertrages waren üblich. Bei Mißernten mußte man Geld leihen, um die Steuer bezahlen zu können, aber nicht selten kam das Land so bald in die Hände der Geldleiher, die es nicht selbst bewirtschafteten, sondern unterverpachteten. Die Pacht dehnte sich immer mehr aus, oft waren ein bis zwei Drittel der Bewirtschafter Pächter. Bevölkerungsvermehrung und Erbteilung führte zu steter Verschlechterung der Verhältnisse.

Bevölkerungsanstieg und Verarmung bewirkten starken Anstieg der Pächterzahl


Agricultural Labourers in India

1841    negligable
1871    8,2 million
1931    28,1 million
1941    33,9 million

Patel, Surendra J., Agricultural Labourers in modern India and Pakistan. Bombay 1952

Früher unbekannte landlose Arbeiter verbreiteten sich sehr, und die Pächter lebten als Teilpächter in bedrängten Verhältnissen. Zu Ende der Kolonialzeit bestand eine krasse Differenz der Vermögensverhältnisse zwischen Grundbesitzern, Geldleihern und Kleinpächtern sowie Landlosen.

Landw. Betriebe in Indien (1953/54)

Grösse
acres

Zahl
Tausend

Anteil
%

- 1

30.029

47,2

1 - 2,5

8.875

14,0

2,5 - 5

8.569

13,5

5 - 7,5

4.966

7,7

7,5 - 10

2.972

4,7

10 - 20

4.897

7,8

20 - 50

2.616

4,1

über 50

604

0,9

insgesamt

63.532

100,0


National Sample Survey Report on Landholdings No. 36, Govt. of India, New Delhi 1955

Immerhin ist von Bedeutung, daß es auf niedrigem Niveau eine Gemeinsamkeit der Interessen aller an der Landbewirtschaftung gab. Die Grundbesitzer waren auf die Dienste der landlosen Pächter, Landarbeiter und Dorfhandwerker angewiesen, da sie nur mit diesen ihr Land bewirtschaften konnten. Sie mußten sie also minimal versorgen, damit sie nicht arbeitsunfähig wurden oder abwanderten. Die Landlosen mußten andererseits ihre Dienste den Grundbesitzern anbieten, weil sie nur dadurch die Existenzgrundlage für ihre Familien schaffen konnten. Diese - einseitig stark verschobene - Gegenseitigkeitsbeziehung war eine minimale Existenzsicherung der landlosen Bevölkerung.